Christoph Knüppel
„Mit Wenigen, doch Gleichgesinnten blüht mir ein Leben, neu und frei“
Zur Geschichte der völkischen Siedlung Heimland bei Rheinsberg
Während die beiden Kolonistendörfer Luhme und Repente im Amtsbezirk Oberförsterei Zechlin bereits 1752 gegründet wurden,
entstand die kleine Siedlung Heimland erst 1909, also vor knapp hundert Jahren, auf dem Gelände des damaligen Gutes Luhme II.
Zur Zeit der DDR wurden die um Anbauten und Baracken erweiterten Siedlungshäuser überwiegend als betriebliche Ferienanlagen genutzt, etwa von den Mitarbeitern des VEB Stahl- und Walzwerk Hennigsdorf, des VEB Glaswerk Berlin-Stralau oder der Konsumgenossenschaft Berlin und Umgegend. Das Gutsgebäude und die Ackerflächen wurden damals von der örtlichen LPG Solidarität bewirtschaftet.
Angeregt und gegründet wurde die Siedlung Heimland, die zum Dorf Luhme gehört, jedoch von dem Mühlenbau-Ingenieur, Verleger und Schriftsteller Theodor Fritsch aus Leipzig. Theodor Fritsch (1852-1933) war ein bekannter völkischer Antisemit, der seit 1902 die Halbmonatsschrift “Hammer, Blätter für deutschen Sinn” herausgab und der nicht nur als ein “Vater des Gartenstadt-Gedankens”, sondern auch als Wegbereiter des Nationalsozialismus gelten muss.
Bereits in seinen Schriften “Zwei Grundübel: Bodenwucher und Börse” (1894) und “Die Stadt der Zukunft” (1896) war dieser für den Aufbau einer “neuen Gemeinde” eingetreten, die sich abseits der Großstadt als ländliche Genossenschaft ansiedeln sollte.
Hinter diesen Plänen stand die Auffassung, dass die germanische Rasse angesichts der vermeintlichen Semitisierung und Amerikanisierung der Gesellschaft vom Untergang bedroht sei und nur gerettet werden könne, indem für einen “gesunden” Rest Lebensbedingungen hergestellt werden, die dem germanischen Wesen entsprechen.
Zu diesen Bedingungen gehörten nach Fritsch die Ausschaltung des Konkurrenzkampfes, die Vergesellschaftung des Bodens, landwirtschaftliche Arbeit und germanisches Brauchtum. Im Januar 1896 ruft Fritsch in einem vertraulichen Rundschreiben zur Gründung von “sozialpolitischen Versuchsstationen” auf und nimmt dabei die Umrisse der Siedlung Heimland vorweg:
“Meine Erfahrungen der letzten fünf Jahre haben mich daran verzweifeln gelernt, dass es möglich sei, ein Volk in seiner Gesamtheit einer neuen reiferen Einsicht und Gesittung, gleichsam einem neuen Kulturgedanken, rasch und sicher zuzuführen.
Der kranke Volkskörper hat nicht mehr die moralische Kraft, sich ernstlich von seinem Übel erlösen zu wollen. […] Für die kleine Schar der Einsichtigen entsteht nun die Frage: Soll sie ihr und ihrer Nachkommen Schicksal an dasjenige einer verblendeten Masse knüpfen, die haltlos einem sicheren Verderben entgegentaumelt?
Soll sie nicht versuchen, in einer Arche einen Kern besseren Menschentums über die kommende Sündflut hinüber zu retten?
Es wird kein Fehler sein, die Arche auf alle Fälle zu bauen, auch wenn die große Krankheit nicht mit so heftiger Krisis verlaufen sollte, als es den Anschein hat. […] All diese Betrachtungen raten zu einer Art innerer Kolonisation.
Abseits vom wüsten Leben der Großstädte sollten sich kleine Ansiedlungen bilden von gleichgesinnten Männern, die das Recht beanspruchen, ihre Lebensverhältnisse nach eigenen Grundsätzen zu gestalten und alle unwillkommenen Elemente fern zu halten. Man kann sich hierbei auf eine Gemeinschaft geistiger Interessen beschränken, jedoch auch eine wirtschaftliche Genossenschaft in Aussicht nehmen.
Auf der Grundlage der Bodengemeinschaft wären hier billige, gesunde Landhäuser zu errichten, an denen ein geräumiger Gartenplatz nicht fehlen dürfte. Ein Stück Ackerland von der Gemeinde zu erpachten, hätte gleichfalls jedes Mitglied Anspruch.”
Neu belebt wurden diese Siedlungspläne zum einen durch mehr oder minder erfolgreiche Siedlungsgründungen von vegetarischen Lebensreformern wie der Obstbaukolonie Eden bei Oranienburg, die zum rechtlichen Vorbild der Siedlung Heimland wurde,
zum anderen durch die 1904 erfolgte Gründung der “Deutschen Erneuerungs-Gemeinde”, die eine Erneuerung des deutschen Volkes “durch Züchtung neuer überlegener Menschen, Auslese der Tüchtigen, Ausmerzung aller Entarteten aus dem Fortpflanzungskreis” zum Ziel hatte.
Neben anderen Idealen der Lebensreform verkündet Fritsch in den “Grundzügen” dieser Gemeinde die Unverschuldbarkeit und Unverkäuflichkeit des Bodens:
“Wir wissen, dass der Boden als Wohn- und Werkraum das Unentbehrlichste für jedes werktätige und ehrliebende Volk ist.
Wir wissen, dass alle arischen Völker zugrunde gingen, die sich von der Mutter Erde loslösten und Grund und Boden zur käuflichen Ware erniedrigten. Die feste Beziehung zur heimischen Scholle gehört zu den Daseinsbedingungen der arischen Welt. Mit der Verkäuflichkeit des Bodens hält die semitische Markt- und Verkehrswelt ihren Einzug, in deren Luft der Arier auf die Dauer nicht gedeihen kann.”
Mit Hilfe des Genossenschaftsrechts und des Erbbaurechts glaubt man die Bodenspekulation verhindern zu können.
Nach einem Aufruf im “Hammer” finden sich im Frühjahr 1908 sechzig Personen, die “des städtischen Lebens überdrüssig” sind und sich ausgehend von den Vorschlägen von Fritsch auf dem Land ansiedeln wollten.
Zu diesem Zweck wird am 18. Oktober 1908 in Leipzig die “Siedlungsgesellschaft Heimland” als Genossenschaft mit beschränkter Haftpflicht gegründet, mit Theodor Fritsch als Vorsitzendem des Aufsichtsrates und dessen unehelichem Sohn, dem Mühlenbau-Techniker Walther Kramer (1881-1964) als erstem Geschäftsführer.
Im Juli 1909 kann die Siedlungsgesellschaft dann das 450 preußische Morgen große Gut Luhme II in der Nähe von Rheinsberg erwerben. Beflügelt von dieser Entwicklung verfassen hoffnungsfrohe Genossenschafter die beiden folgenden Gedichte, die im “Hammer” abgedruckt werden.
Richard Klubach: Heemland
Nu hewwt wi all dat funnen,
Wat lang uns’ Wünschen west,
Vel Sorg’ is öberwunnen,
Un’t Eigen is doch’t Best’.
Un deep in unse Harten
Treckt Fried’ und Freud’ nu in,
Luftschlösser, de uns narrten,
Wi schlon s’uns ut’n Sinn.
Wes froh un lot di wiesen,
Min Fruken lev und söt,
Den Weg tum Paradiesen
Ut alle Erdennöt’.
Otto Linke: Zum Geleit nach Heimland
Gradaus den Blick! Da vor euch liegt
Der neuen Heimat neue Welt.
An Hügelwellen sanft geschmiegt,
Wallt frisch im Wind das Roggenfeld.
Und an das goldne Ährenmeer
Schließt sich das Grün der weiten Trift,
Am Horizonte, hoch und hehr,
Wehrt dunkler Tann dem Weltengift,
Dem wir entfliehen wollen! Da –
Weit hinten, dort am Waldessaum
Erglänzt ein See! – O Gott, geschah
Ein Wunder denn? Was einst im Traum
Des Hoffens unser Geist geschaut,
Das hast du plötzlich aufgebaut
Vor unsern Augen? – Deutsches Land,
Nun blühe Heil dir unverwandt!
Du liebe Scholle, frohen Gruß!
Von unsrer Sehnsucht übertaut,
Warst du dem Geiste längst vertraut;
Du bist uns Heimat, eh’ ein Fuß
Auf deinem Boden wandeln geht;
Wir säten schon auf deinem Beet
Des besten Wollens Samen ein;
Nun geh’ er auf im Sonnenschein!
Das Siedlungsgelände wurde gleich nach dem Ankauf in zwei konzentrische Kreise aufgeteilt.
Der innere Kreis wurde von den sogenannten “Gemeinwirtschaftern”, ledigen jungen Männern und Frauen, die im ehemaligen Gutsgebäude untergebracht waren, gemeinsam bearbeitet.
Der äußere Kreis bestand aus etwa 50 Grundstücken, auf denen Siedlerfamilien als “Einzelwirtschafter” ein Haus errichten und Gartenbau betreiben sollten. Entlang dieser Parzellen legten die Siedler Feldwege an.
Erst 50 Jahre später erhielten sie die heutigen Namen Sonnenweg, Tannenweg und Heegeseeweg. Lediglich auf 11 Grundstücken konnten bis zum Ersten Weltkrieg Häuser errichtet werden, die von Siedlerfamilien bezogen wurden. Entworfen wurden diese Häuser von dem jungen Architekten Jorg Brücke (1880-1967), der später in Neubrandenburg auch als Kunstmaler Bekanntheit erlangte.
Auf den Acker- und Gartenflächen der Gemeinwirtschaft wurden in der Folgezeit Roggen, Hafer, Kartoffeln und Futterrüben, ferner verschiedene Gemüsesorten und Erdbeeren angebaut. Im Sommer 1914, auf dem Höhepunkt ihrer Entwicklung, gehörten der Siedlung außerdem 20 Kühe und Kälber sowie über 50 Schweine.
An der Scheune des Gutes prangte ein großes Hakenkreuz. Auch das 1913 von Jorg Brücke gestaltete Emblem der Siedlungsgesellschaft Heimland trug ein Hakenkreuz im Schriftzug. Das Hakenkreuz stand für die vermeintliche “Edelrasse” der Germanen und wurde seit der Jahrhundertwende von verschiedenen völkischen Gruppierungen verwendet, beispielsweise vom Bund deutscher Volkserzieher, vom Deutschen Schaffer-Bund und vom Germanen-Orden.
Nach einer Probezeit erhielten die Gemeinwirtschafter “germanische” Vornamen wie Eckhart, Siegbert oder Roland, mit denen sie künftig angeredet wurden.
Der Ausschank alkoholischer Getränke war verboten.
Von 1910 bis 1914 lebten ständig 10 bis 15 Gemeinwirtschafter in der Siedlung, einige von ihnen allerdings nur wenige Monate.
Weil die Siedlung nicht nur von Wandervögeln aus der deutschen Jugendbewegung, sondern auch von zahlreichen “Gesinnungsfreunden” und Lebensreformern besucht wurde, errichtete man bereits im Sommer 1910 ein eigenes Gästehaus.
Bis 1921 bildete die Gemeinwirtschaft, die als “Erziehungsschule für Erwachsene” betrachtet wurde, den geistigen und wirtschaftlichen Mittelpunkt der Siedlung.
Die Leiter der Gemeinwirtschaft waren Lorenz Raupp aus Franken (bis 1914), Hans John aus Landsberg an der Warthe (bis 1918) und Otto Jungheinrich aus Thüringen (bis 1922). Die ersten Gemeinwirtschafter, die im Herbst 1909 nach Heimland kamen und bis dahin Handwerker, Handlungsgehilfen oder Studenten gewesen waren, durften sich als “auserlesene Menschen” fühlen und waren voller Idealismus.
Schließlich sollte hier eine “neue Welt der Selbstlosigkeit und des Gemeinsinns” geschaffen werden, die weder Habgier noch den “Kampf aller gegen alle” kennt. Dabei wird nicht verhehlt, dass die jungen Männer, die als Gemeinwirtschafter nach Heimland kommen, “Spartanergeist und innere Disziplin” benötigen.
Offenbar musste dies wiederholt betont werden, weil einige Stadtflüchter glaubten, sie könnten “ohne ernste Arbeit von Luft- und Sonnenbädern” leben. Die Heimländer würden jedoch lernen, “wie gerade in der Einfachheit und Bedürfnislosigkeit die Blume Frohsinn am schönsten blüht.
Sie haben nicht nötig, durch Alkohol und Tabak sich in einen künstlichen Freudenrausch zu versetzen: Auch nach einer Buttermilchsuppe mit einem Stück kernigen Schwarzbrot ertönt am Abend ihr fröhlicher Gesang zu Zupfgeige und Fiedel.”
Neben freier Unterkunft und einer “einfachen Kost” mit wenig Fleisch erhalten die Gemeinwirtschafter, sobald sie gewisse “Vorkenntnisse ländlicher Arbeit” erworben haben, ein wöchentliches Taschengeld in Höhe von 3 Mark.
Durch dreijährige Mitarbeit erwerben sie einen Anteilschein der Genossenschaft, dessen Wert auf 500 Mark festgesetzt ist.
Freilich besteht kaum Aussicht, dass sie sich auf diesem Weg einen eigenen Gartenbetrieb anlegen und ein Wohnhaus bauen können.
Die Kosten hierfür werden 1911 auf 5000 bis 7000 Mark und 1914 auf 8000 bis 10000 Mark veranschlagt. Angesichts ihrer beschränkten Mittel kann die Genossenschaft auch keine Darlehen gewähren.
Nach der täglichen Arbeit wird auf die “geistige Erhebung” der Gemeinwirtschafter Wert gelegt: “Am Abend bietet eine kleine […] Bücherei Stoff zur Unterhaltung und Belehrung. Selbstverständlich wird auch eine Anzahl guter Zeitschriften gehalten. Vorlesungen und unterhaltende Vorträge werden zuweilen durch den Gesang eines kernigen Liedes abgelöst, und es ist für die Zukunft noch so mancherlei geplant: Theaterspiel, mehrstimmiger Chorgesang, Fechten, Disputierübungen, Sport und Spiele aller Art”.
Für die erwähnte Bücherei wünscht sich die Heimländer “Jungmannschaft” von den Lesern des “Hammer” Lehrbücher über Gartenbau und Landwirtschaft sowie “vom Deutschtumsgeist getragene Schriften” zu Weihnachten. Im Frühjahr 1910 bildet sich ein Männerchor, der vom Lehrer der Luhmer Volksschule (vermutlich Martin Rausch) geleitet wird. Klampfen, Geigen und Trompeten ertönen und “alte vergessene Volkstänze” werden eingeübt. Der Siedler und Kunstmaler Hans Greinke bietet im Sommer 1913 Malkurse an.
Den Speiseraum des Gutsgebäudes zieren Bilder von Friedrich dem Großen, Ernst Moritz Arndt, Ludwig Jahn, Richard Wagner, Otto von Bismarck, Arthur von Gobineau und anderen völkischen Leitfiguren. Gemeinsam mit den Siedlerfamilien wird das Erntedankfest gefeiert.
Als echtes Problem für die Heimländer Gemeinwirtschaft erweist sich der Mangel an weiblichen Arbeitskräften.
Trotz mehrfacher Anzeigen im “Hammer” können nie mehr als zwei bis drei Frauen als Helferinnen gewonnen werden.
Am 1. November 1910 wird dieser Zustand in einem Bericht beklagt: “Schwieriger als die Männerfrage hat sich die Frauenfrage für Heimland erwiesen. An rüstigen Frauenhänden, die mit Freudigkeit die Wirtschaft im Hause und vor allem eine tüchtige Küche zu führen bereit sind, ist dort immer noch Mangel.
Unsere Bemühungen, kräftige Landmädchen aus der Umgebung für die derbere Hausarbeit zu gewinnen, waren erfolglos. Fast alle gesunden jungen Mädchen aus dortiger Gegend wandern nach Berlin. Junge Mädchen gebildeter Stände, die sich anboten, brachten meist nicht die nötige Rüstigkeit mit und sahen diesen Landaufenthalt mehr als eine Gelegenheit zur Erholung an. […] Der allgemeine Mangel an wirtschaftlich tüchtigen Frauen zeigt sich hier in ganz erschreckender Weise; es scheint, dass die Verbildung durch das Schulwesen und die damit verknüpfte Arbeitsscheu und Arbeitsunfähigkeit unter den Frauen noch viel verheerender gewirkt hat als unter den Männern. Einer unserer Freunde rief aus: ‘Ein Königreich für ein Weib, das nicht studieren und schriftstellern will, sondern ehrlich zu kochen und zu wirtschaften versteht!’”
Um den Kindern der Siedler eine Schule zu bieten, die “modernen Ansprüchen” genügt, plant die Siedlungsgesellschaft schon im November 1909 den Aufbau eines Landerziehungsheims nach dem Vorbild der bereits bestehenden Landerziehungsheime des Reformpädagogen Hermann Lietz. Im landwirtschaftlichen und gärtnerischen Betrieb des Gutes könnten sich die Schülerinnen und Schüler mit “allerlei praktischen Arbeiten” vertraut machen. In einem Prospekt für potenzielle Siedler wird 1915 ebenfalls auf die Schulverhältnisse eingegangen: “Heimland besitzt zur Zeit noch keine eigene Schule. Die Kinder müssten vorläufig 20 Minuten weit nach der Dorfschule gehen.
Da jedoch für die nächsten Jahre ein regerer Zuzug von Familien zu erwarten steht, so dürfte recht bald an die Schaffung einer eigenen Schule gedacht werden können und zwar einer vernunftgemäßen Reform-Schule (Waldschule oder dergleichen).” Fehlende Mittel und das Ausbleiben weiterer Siedler verhindern die Verwirklichung eines solchen Vorhabens.
Auch ein geplantes Altersheim für völkische “Vorkämpfer”, das Theodor Fritsch gerne eingerichtet hätte, kommt nicht zustande.
Die Einheimischen scheinen den Siedlern zunächst mit Misstrauen und Skepsis begegnet zu sein. Dies geht auch noch aus einem schönfärberischen Bericht hervor, den ein Besucher im Juni 1911 verfasste:
“Was aber den Nachbarn das Erstaunlichste scheint, ist die Tatsache, dass alle die Mitarbeiter des jungen Unternehmens aus der Stadt gekommen sind, dass sie diese Orte des elektrischen Lichts und Lärms und Vergnügens, dieses sehnsüchtig begehrte Ziel der Landjugend, freiwillig verlassen haben, um hier zwischen den Kieferwäldern zu pflügen und zu säen, Kühe zu melken, Schweine zu füttern und nach Feierabend – fröhliche Lieder zur buntbebänderten Laute zu singen.
Anfangs dachte man an eine Art Strafversetzung und misstraute den Leuten, die auskömmliche Stellen in der Stadt einfach im Stich ließen. Eine gute Nachbarin meinte sogar, das müssten wohl junge Leute sein, die eine unglückliche Liebe gehabt hätten und nun hier in der Einsamkeit Trost und Vergessen suchten. Jedenfalls waren es rätselhafte Gestalten.
Heute haben sie sich auch im neuen Wirkungskreise Achtung gewonnen; denn der Hände Arbeit weiß schließlich der einfachste Mensch zu würdigen. Aber: ‘was verdienen sie dort?’ und ‘was bezwecken sie eigentlich damit?’
Das sind Fragen, die man in der Nachbarschaft immer wieder zu hören bekommt und die einem recht deutlich machen, welche geistige Vorarbeit ein Unternehmen wie Heimland voraussetzt.”
Im “Hammer”, aber auch in anderen völkischen und lebensreformerischen Zeitschriften wurde anfangs regelmäßig über die Fortschritte der Siedlung Heimland und die jährlichen Hauptversammlungen der Siedlungsgesellschaft berichtet.
Bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs richtete auch Fritsch seine politischen Hoffnungen ganz auf die neue und geplante weitere Siedlungen. Gewichtige Stimmen aus dem völkischen Lager kritisierten jedoch die “Weltflucht” des Unternehmens oder beklagten, dass eine solche “Sonderbündelei” die Propaganda für den Antisemitismus schwächen würde.
Unterstützung fand Fritsch dagegen bei dem ehemaligen Landwirt und Schriftsteller Rudolf von Koschützki (1866-1954), der ausgehend von einem Aufenthalt in Heimland die Erzählung “Der Schatz im Acker” verfasste und damit vor allem junge Menschen zu einer Rückkehr zum Land verleiten wollte.
Einen folgenschweren Rückschlag erlitt das Siedlungsunternehmen, als im Herbst 1914 die meisten Gemeinwirtschafter und auch mehrere Siedler zum Militär eingezogen wurden oder sich als Kriegsfreiwillige meldeten. Von den Kriegsteilnehmern kehrten lediglich Ernst Berger, Gustav Buyni, Johannes Stephani und Otto Reißig nach Heimland zurück.
Zudem zeigte sich immer deutlicher, dass der gewählte Standort auf Grund des wasserarmen Bodens und des rauen Klimas für den Gartenbau nicht geeignet war. Diese Faktoren und der Beginn der Inflation führten dazu, dass der Versuch, die Siedlung nach dem Ersten Weltkrieg neu zu beleben, schon nach wenigen Jahren scheiterte.
Im Frühjahr 1919 wurde unter der Führung Walther Kramers noch ein “deutsches Kinderheim” in Heimland eröffnet, das eine Anzahl “rassisch wertvoller” Kinder aus der gegenwärtigen “Welt des Verfalls” retten sollte. Außerdem sollte unter der Leitung des gelernten Landwirts Otto Jungheinrich (1879-1958) eine völkische “Siedlerschule” entstehen. Beide Vorhaben kamen jedoch nicht über kümmerliche Anfänge hinaus.
Im April 1922 musste die Gemeinwirtschaft aufgegeben und das Restgut an die ehemaligen Gemeinwirtschafter Ernst Berger und Gustav Buyni verpachtet werden.
Das Gästehaus wurde von dem Ehepaar Karl und Erna Lambrecht aus Braunschweig erworben und als “Pension Tannenhof” weitergeführt.
Aus einem anderen Siedlerhaus wurde ein Genesungsheim, geleitet von einer Berliner Ärztin.
Im August 1926 wurde dann die Liquidation der “Siedlungsgesellschaft Heimland” beschlossen, die zehn Jahre später, nach Auszahlung der restlichen Genossenschaftsanteile, zum Abschluss kam.
Bereits im April 1928 meldete der Landrat de Kreises Ostprignitz an den Regierungspräsidenten: “Die Siedlung Heimland hat sich seit 1914 nicht mehr weiter entwickelt. Die Besitzer haben häufiger gewechselt. Nach Lage der Verhältnisse dürfte es sich erübrigen, die Entwicklung der Siedlung weiter gesondert zu verfolgen.”
Als Liquidatoren traten vor dem Amtsgericht Rheinsberg der ehemalige Major Edgar Wyszomirski sowie die beiden Landwirte Karl Sobeck und Otto Reißig auf.
Kurz zuvor, am 6. Dezember 1935, hatte Otto Reißig im Luhmer Gemeinderat einen Vorschlag zur Orts- und Straßenbenennung eingebracht: Zu Ehren seines Gründers soll der zu Luhme gehörige Ortsteil nun auch amtlich “Luhme-Heimland” genannt und der angelegte Straßenring als “Theodor Fritsch-Ring” bezeichnet werden.
Gemeinderat Otto Kath will nicht zurückstehen und schlägt für die Luhmer Dorfstraße gleich noch den Namen “Adolf Hitler-Straße” vor.
Während die Vorschläge für die Straßenbenennungen offenbar nicht aufgegriffen wurden, hat sich der Name Heimland durchgesetzt.
Bereits nach seinem Tod am 8. September 1933 war Fritsch als völkischer “Vorkämpfer” und “Altmeister” geehrt worden.
Wilhelm Kube, Gauleiter der Ostmark und später Generalkommissar von Weißruthenien, hält ihn für “den größten Vorläufer Adolf Hitlers”.
Julius Streicher, fränkischer Gauleiter und Herausgeber des “Stürmer”, behauptet gar, Fritsch sei ein “Gottgesandter” gewesen und habe dazu beigetragen, das deutsche Volk und die arische Menschheit zu erlösen.
Schließlich wird ihm zu Ehren am 7. September 1935 im Berliner Stadtteil Zehlendorf ein martialisches Denkmal eingeweiht.
Die Idee hierzu hatte der Zehlendorfer Bürgermeister Walter Helfenstein, mit der Ausführung wurde der NS-Bildhauer Arthur Wellmann betraut. Das Denkmal, das an der Kreuzung Theodor-Fritsch-Allee (heute Lindenthaler Allee) und Niklasstraße aufgestellt wurde, zeigt eine nackte Männergestalt, die mit einem schweren Hammer ein echsenähnliches Fabelwesen tötet.
Anregen ließ sich der Bildhauer offenbar von Fritschs Gedicht “In Wielands Schmiede”, in dem der Schmied ankündigt, mit seinem Hammer den “giftigen Drachen” zu vernichten, der für die verhasste “Lügenbrut” steht.
Die zeitgenössische Presse ließ keinen Zweifel an der Deutung: Wellmanns Plastik stelle “den nordischen Kämpfer dar, wie er den Streithammer auf den Schädel eines jüdischen Drachen niedersausen lässt.”
Auf dem sechseckigen Denkmalssockel stand: “Theodor Fritsch, dem völkischen Vorkämpfer zum Gedächtnis. 1852-1933.” Auf den Flächen daneben hatte man zwei Aussprüche von Fritsch eingraviert: “Keine Gesundung der Völker vor der Ausscheidung des Judentums”, und “Im Grunde genommen ist die Judenfrage der Streit zwischen Ehrenhaften und Ehrlosen”.
An der Einweihungsfeier nahmen neben alten Mitstreitern Vertreter der NSDAP, der SA und der SS, der Wehrmacht und der Stadt Berlin teil.
In seiner Weiherede rühmt Staatskommissar Julius Lippert, vormals Schriftleiter der von Goebbels herausgegebenen Hetzschrift “Der Angriff”, den Verstorbenen als “völkischen Pionier des Dritten Reichs”.
Seine Zeitschrift “Hammer” habe “zehntausende junge Herzen begeistert und in sie die Saat gesenkt, die im Januar 1933 endlich so herrlich aufgegangen sei.”
Danach legen der Bürgermeister, NSDAP-Kreisleiter Werner Wächter und ein ungenannter Vertreter des Hammerbundes Kränze nieder.
Am Ende sollte noch erwähnt werden, dass etwa zeitgleich mit Heimland weitere völkische Siedlungen entstanden sind, deren Gründung allerdings nicht auf Fritsch zurückgeht. Zu nennen sind hier die Siedlung Klingberg in Ostholstein, die Siedlung Vogelhof in Württemberg und die Siedlung Donnershag bei Sontra (Hessen).
Eine ausführliche Dokumentation zur Geschichte der völkischen Siedlung Heimland bei Rheinsberg (155 S.) kann zum Preis von 19 Euro beim Verfasser bestellt werden: Christoph Knüppel, Kirschengarten 35, 32052 Herford.